von Dörte Hansen
„Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt’t ook noch sein.“
So steht es mahnend eingemeißelt im Giebel des alten Fachwerkhauses in dem Vera Eckhoff nun schon seit mehr als 60Jahren lebt. Damals kam sie an der Hand ihrer adeligen Mutter Hildegart von Kamcke als Kriegsflüchtling aus Ostpreußen auf den Hof von Ida Eckhoff in das alte Land. Ein Land voller Eingewachsener und Familien die diese Land seit ewigen Zeiten „Heimat“ nennen. Veras Mutter heiratete Karl, Idas Sohn der wie so viele in dieser Zeit als körperlich- aber vor allem geistich Versehrter aus dem Krieg zurück kam. In Karl fand Vera einen Verbündeten, einen Weggefährten, die beide die selben Wunden mit sich schleppten.
Und so beginnt eine Familiengeschichte wie es sicherlich so viele gegeben hat. Eine Geschichte voller Flüchtlinge jeder art und zu jeder Zeit. Heimatlos, die vor der Kälte, dem Hunger, den Gewähren und der Gewalt fliehen. Aber auch vor der Erinnerung und der Furcht.
Und so gehen die Jahre ins Land, als plötzlich Veras Nichte Anne vor der Tür des alten Bauernhauses, das so viel erzählen könnte steht. Auch Anne ist ein Flüchtling, genau wie Vera damals. Eine vertriebene, Vertrieben aus einem Leben in dem sie keiner wollte. Zwei Einzelgängerinnen, die sich ähnlicher sind als sie zu erst glauben und überraschend finden, was sie nie gesucht haben. Heimat.
Schon lange habe ich kein Buch mehr gelesen, dessen Beschreibung mir so schwer gefallen ist. Woran liegt das? Die Geschichte ist nichts ungewöhnliches. Flüchtlinge hat es immer gegeben und auch die Kriegs- und vor allem die Nachkriegsschrecken sind in der deutschen Literatur hinreichend thematisiert worden.
Doch ist es anscheinend die Art der Erzählung. Dörte Hansen beweist in Ihrem Roman einen Erzählstil, der so bilderreich und eingängig ist, das man die Schecken dieser Zeit beim Lesen in der Seele spüren kann. Ein bisschen zu vergleichen mit einem Obstschnaps. Zuviel davon tut auch nicht gut.
Viele Themen werden in der Geschichte aufgegriffen und behandelt. Es geht nicht nur um Flüchtlinge, vor 60 Jahren wie auch Heute. Es geht auch um Heimat und das Gefühl „Zuhause zu sein“. Heimat und Besitz für die, die da nach kommen zu bewahren und weiter zu geben. Oder eben auch nicht. Und die Frage nach dem Warum. Ebenso die Frage nach dem Warum ein Mensch, ein Charakter so ist wie er ist. Was hat ihn dazu gemacht und was sind die Geschichten hinter den Menschen. Ich sehe es fast als Mahnung sich das zu Fragen bevor man über einen Menschen urteilt.
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Humor: Bei der ein oder anderen Beschreibung der mitspielenden Figuren musste ich schon ein bisschen schmunzeln. Das könnten auch meine Nachbarn sein.
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Fesselfaktor: Ich habe dieses Buch zum größten Teil in zwei Tagen inhaliert. Es waren zwei sehr graue Tage zu denen die eben so graue Stimmung dieses Romans besonders gut passte. Ich war sehr froh das mir nichts in die Quere kam, das mich dazu veranlasste das Buch zur Seite zu legen. Danach hatte ich aber auch einen Kater.
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L’amour: Liebe ist hier ein allgegenwärtiges Thema und wird in vielen Facetten behandelt. Die Liebe zu anderen Menschen, zu den eigenen Kindern, zu den Eltern. Liebe zum Land und zur Heimat. Unerfüllte Liebe, Angst vor der Liebe und auch Sehnsucht nach Liebe. Aber es ist ganz sicher keine Liebesgeschichte.
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Fantasie: Nein!
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Tiefgang: Dörte Hansen gewährt uns mit ihrem Erstlingswerk einen tiefen Einblick in die verletzten Seelen Vertriebener wie Ausgestoßener aus vielen Bereichen. Hier sollte jeder hinschauen um zu erkennen wie gut es uns geht.
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Schreibstil: Die Autorin pflegt durchaus einen Schreibstil den man mögen muss. Ich für meinen Teil liebe ihn. Sehr bilderreich nimmt Dörte Hansen den Leser mit ins alte Land zu den Menschen hinterm Deich. Durch diese Bilderreiche Sprache ist man relativ schnell mitten im Geschehen und Teil der Erzählung.
Man kann sie fast riechen die salzige herbe Luft des Nordens. Kann sie sehen die alten knorrigen Obstbäume die das alte Land zu dem mach was es ist. Alt und knorrig wie seine Menschen die es beherrschen. Man kann sie fühlen die Angst vor dem was war und jeden Nacht von neuem sein wird. Man kann sie hören die Stimme des alten Hauses in dem Vera scheinbar nur Bewahrer ist. Nie Bewohner. -
Cover / Titel: Das Cover ist schlicht aber schön und wenn ich mir den neuen Roman von Dörte Hansen anschaue auch ihr Markenzeichen.
Der Titel ist in vielerlei Hinsicht zutreffend. Eine Erzählung die überwiegend im Alten Land spielt und von ihren Menschen eben so dem Leben dort berichtet. Was kann es da treffenderes geben. -
Empfehlenswert: In dieser Kategorie kommt es selten vor das ich ein Buch als uneingeschränkt empfehlenswert empfinde. Aber hier ist es so. Ich habe diesen keinen Roman von meiner Mutter geschenkt bekommen die meine Buchgeschmack immer zu 100% trifft. Doch würde ich dieses Buch auch an jemanden weiterempfehlen dessen Geschmack ein ganz anderer ist. Mit dem Hinweis, lass dich einfach mal drauf ein und versuch zwischen den Zeilen zu lesen und zu lernen. Denn wenn man dieses Buch verstanden hat ist man schon ein ganzes Stückchen weiter.
Ich bin wirklich schon sehr gespannt auf Dörte Hansens neuen Roman, dessen Beschreibung sehr viel versprechend ist.